Griechenlands Lektion für Russland
– von Paul Craig Roberts –
„Griechenlands Schulden können jetzt nur noch durch Schulden-Erleichterungs-Maßnahmen tragbar gemacht werden, die weit über das hinausgehen, was Europa bisher überhaupt in Betracht gezogen hat“.
– Internationaler Währungs-Fond (IWF) –
Griechenlands Lektion für Russland wie auch für China und den Iran ist, finanzielle Verquickungen mit dem Westen zu vermeiden. Dem Westen kann man einfach nicht trauen. Washington hat sich dem Ziel einer wirtschaftlichen und politischen Hegemonie über jedes andere Land verschrieben und benutzt das Westliche-Finanz-System für das Einfrieren von Guthaben, für Beschlagnahmungen und Sanktionen. Länder, die zwar eine unabhängige Außenpolitik betreiben, aber außerdem auch Guthaben im Westen unterhalten, können nicht erwarten, dass Washington ihre Eigentumsrechte oder ihr Eigentum respektiert. Washington friert einfach Guthaben ein oder stielt sie, oder – wie im Falle Frankreichs – verhängt Bußgelder von vielen Milliarden, um Willfährigkeit gegenüber der Politik Washingtons zu erzwingen. Der Iran z.B. büßte jahrelang 100 Milliarden Dollar ein, das ist etwa ein Viertel seines Brutto-Inlands-Produkts, nur weil er auf seinen Rechten innerhalb des Atomwaffen-Sperrvertrags bestand.
Russische Journalisten fragen mich, ob Obamas Bereitwilligkeit, einen Deal mit dem Iran zu erreichen, bedeutet, dass dies auch Hoffnung auf einen Deal mit der Ukraine machen könnte. Die Antwort ist: Nein. Und noch mehr, – wie ich später noch erläutern werde: der Deal mit dem Iran bedeutet nichts, soweit es Washington betrifft.
Vor drei Tagen (am 14.Juli) behauptete ein hochrangiger Militär-Offizier, General Paul Selva, der dritte innerhalb weniger Tage, gegenüber dem US-Senat, dass Russland eine „existenzielle Bedrohung für die US-Nation sei“. Und wenige Tage zuvor hatte der Senat dieselbe Behauptung vom US-Marine-Commander Joseph Dunford sowie vom Sekretär der US-Air-Force gehört. Wiederum einige Tage davor warnte der Vorsitzende der Vereinigten Stabs-Chefs vor einer „gemischten Russischen Bedrohung“.
Washington hat viel Energie darin investiert, die Ukraine gegen Russland auszuspielen. Der gesamte Konflikt dort geht auf die Kappe der Washingtoner Marionetten-Regierung in Kiew. Russland wird für alles verantwortlich gemacht, einschließlich der Zerstörung des Flugzeugs der Malaysischen Airline. – Washington hat falsche Anschuldigungen benutzt, um die EU in Sanktionen gegen Russland hineinzuzwingen, – Sanktionen, die eigentlich nicht in Europas Interesse liegen. Und da Washington erfolgreich ganz Europa nötigen konnte, dessen wirtschaftlichen und politischen Beziehungen mit Russland zu schaden und in eine Konflikt-Situation mit Russland zu treten, ist Washington sicherlich nicht an einer Beruhigung der Situation in der Ukraine interessiert. Sogar wenn Washington das „wollen“ würde, – Washingtons gesamte Position beruht auf nichts anderem als auf Propaganda –, würde es sich selbst noch nicht einmal verleugnen müssen, um zu einer entsprechenden 'Übereinkunft' zu kommen.
Trotz alledem sprechen Russlands Präsident und sein Außenminister weiterhin von den USA und den EU-Vasallen-Staaten Washingtons als von „unseren Partnern“. Vielleicht sind Putin und Lawrow ja sarkastisch. Ganz gewiss in der jetzigen Zeit aber ist, dass Washington und seine Vasallen nicht Partner Russlands sind.
Die Wolfowitz-Doktrin, die Grundlage der US-Außen- und Militär-Politik ist, besagt: „dass ein Aufsteigen Russlands oder irgendeines anderen Landes nicht erlaubt sein könne, da die USA die 'Uni-Macht' seien und irgendwelche Einschränkungen seiner unilateralen Aktionen nicht dulden könnten“.
Und solange diese Doktrin in Washington vorherrscht, sind weder Russland noch China oder der Iran (unabhängig von dessen Atomwaffen-Sperrvertrag) sicher. Und solange der Iran eine unabhängige Außenpolitik betreibt, schützt auch der Atomwaffen-Sperrvertrag den Iran nicht, denn jeder signifikante politische Konflikt mit Washington kann neue 'Rechtfertigungen für Sanktionen' nach sich ziehen.
Mit dem Atom-Abkommen mit dem Iran geht bezüglich der zuvor 'eingefrorenen Westlichen Bilanzen' auch die Wieder-Freigabe der 100 Milliarden Dollar des Irans einher. Gestern hörte ich von einem Mitglied des Rats für Außenpolitische Beziehungen die Bemerkung, dass der Iran seine freigegebenen 100 Milliarden Dollar in US-Amerikanische und Europäische Firmen investieren wolle. Falls der Iran dies tut, gibt sich die Iranische Regierung nur eine neue Blöße gegenüber Erpressungen. Investitionen irgendwo im Westen bedeuten lediglich, dass Aktivposten des Irans erneut jederzeit eingefroren oder konfisziert werden können.
Wenn Obama Leute wie Victoria Nuland, Susan Rice und Samantha Power entlassen und diese Neokonservativen durch vernünftige Diplomaten ersetzen würde, würden sich die Aussichten verbessern. Dann hätten Russland, China und der Iran bessere Möglichkeiten, Einigungen mit den USA zu erzielen – und zwar unter anderen Bedingungen als unter denen eines Vasallentums.
Russland und China erachten, nachdem sie sich aus einem mangelhaft funktionsfähigen kommunistischen Wirtschafts-System erhoben haben, natürlicherweise den Westen als Modell. Nun scheint es aber so zu sein, dass China sich Hals über Kopf dem Westlichen Kapitalismus angenähert hat. Bei Russland ist dies vielleicht nicht so sehr der Fall, doch die Volkswirtschaftler in diesen beiden Ländern sind von derselben Sorte wie die neoliberalen Wirtschaftswissenschaftler des Westens, was bedeutet, dass sie unabsichtlich Diener des Westlichen Finanz-Imperialismus' sind. Obwohl sie der Meinung sind, dass sie ihrer eigenen Wirtschaft dienen, dienen sie doch in Wirklichkeit dem Hegemonie-Streben Washingtons.
Mit der Deregulierung, die während des Clinton-Regimes ihren Anfang nahm, verlor der Westliche Kapitalismus seine soziale Funktionsfähigkeit. In den USA und darüber hinaus dient der Westlichen Kapitalismus nicht mehr der Bevölkerung. Der Kapitalismus dient da nur noch seinen 'Eignern' und den Managern des Kapitals – und niemandem sonst.
Deshalb ist die Einkommens-Ungleichheit in den USA jetzt genauso schlecht wie – oder noch schlechter – als während des „Raubritter-Kapitalismus“ der 1920er Jahre. Die 1930er Regulierung, die den Kapitalismus zu einem funktionierenden Wirtschaftssystem gemacht hatte, wurde wieder aufgegeben. Und heutzutage ist der Kapitalismus der Westlichen Welt nur noch ein Plünderungs-Mechanismus. Der Kapitalismus beutet nicht nur Arbeitskraft aus, – er beutet ganze Länder aus – wie Griechenland, das von der EU gezwungen wird, seine nationalen Errungenschaften an ausländische Käufer zu verscherbeln.
Bevor Putin und Lawrow noch einmal von ihren „Amerikanischen Partnern“ sprechen, sollten sie erst einmal den mangelhaften 'guten Willen' Europas gegenüber Griechenland bedenken. Wenn selbst ein Mitglied der EU ausgeplündert und 'von seinen Landsleuten' in Grund und Boden getrieben wird, – wie können dann Russland, China und der Iran eine bessere Behandlung erwarten? Wenn der Westen schon keinen guten Willen gegenüber Griechenland zeigt, wo ist dann der 'gute Wille' des Westens gegenüber Russland?
Die Griechische Regierung war gezwungen, gegenüber der EU zu kapitulieren, trotz der Unterstützung, die sie durch ihr Referendum erhielt, denn die Griechen verließen sich auf den 'guten Willen' ihrer Europäischen Partner und unterschätzten die Verlogenheit des 'Einen Prozents' dort. Die Griechische Regierung hatte nicht mit der gnadenlosen Attitüde ihrer EU-Mitglieds-Regierungen gerechnet. Die Griechische Regierung hatte tatsächlich geglaubt, dass ihre Experten-Analyse bei den Verhandlungen von Gewicht seien könnten. Diese Erwartung führte dazu, dass die Griechische Regierung keinen Sicherungs-Plan im Hintergrund hatte. Die Griechische Regierung 'verschwendete' keinen Gedanken darauf, wie sie den Euro verlassen und an dessen Stelle ein Geld- und Banken-System stellen könnte, das vom Euro unabhängig ist. Ihre fehlende Vorbereitung auf einen Austritt ließ der Regierung keine Alternative gegenüber den Forderungen der EU.
Die Beendigung der fiskalischen Souveränität ist das, was auch Italien Spanien und Portugal und eventuell auch Frankreich und Deutschland bevorstehen könnte. Wie Jean-Claude Trichet, der früher Kopf der Europäischen Zentral-Bank sagte, habe die Staatsschuldenkrise gezeigt, „dass es an der Zeit sei, Europa über das strikte Konzept der Nationalität hinauszubewegen“. Der nächste Schritt in der Zentralisierung Europas ist dann die politische Zentralisierung. Die Griechische Schuldenkrise wird benutzt, um das Prinzip zu etablieren, dass eine Mitgliedschaft in der EU bedeutet, dass das betreffende Land seine Souveränität verloren hat.
Die in den Westlichen Finanz-Medien vorherrschende Ansicht, dass Griechenland eine 'Lösung' angeboten worden sei, ist Unsinn. Nichts ist 'gelöst'. Die Bedingungen, denen die Griechische Regierung sich gefügt hat, machen die Schulden nur noch weniger rückzahlbar. Innerhalb kurzer Zeit wird diese Streitfrage erneut vor uns stehen. Wie John Maynard Keynes bereits 1936 verdeutlichte und wie jeder Ökonom weiß, reduziert das Herunterfahren des Pro-Kopf-Einkommens durch Beschneidung von Pensionen, Arbeitsplätzen, Löhnen und Gehältern und sozialer Dienstleistungen die Nachfrage und die Investitionen – und damit das Brutto-Inlands-Produkt, und es führt zu riesigen Budget-Defiziten, die durch geliehenes Fremdkapital abgedeckt werden müssen. Und der Verkauf öffentlichen Vermögens an ausländische Interessenten transferiert den Einkommensfluss der Griechischen Wirtschaft in ausländische Hände.
Der unkontrollierte nackte Kapitalismus hat sich im 21.Jahrhundert als unfähig erwiesen, irgendwo im Westen Wirtschaftswachstum zu erzeugen. Folglich schrumpft das Einkommen einer durchschnittlichen Familie. Die Regierungen verschleiern diese Schrumpfung und unterbewerten die Inflation, und indem sie arbeitslose Bürger, die keine Jobs finden können, nicht mitzählen, haben sie auch aufgehört, 'hinzusehen'. Indem sie entmutigte Arbeitskräfte nicht mitzählen, können die USA eine angebliche Arbeitslosen-Zahl von 5,2% angeben. Wenn die entmutigten Arbeitskräfte mitgezählt werden würden, ergäbe sich hingegen eine Arbeitslosenquote von 23,1%. Und eine 23%tige Arbeitslosenquote hat nichts mit wirtschaftlicher Erholung zu tun.
Auch die vom Westen verwendeten Sprachbegriffe sind irreführend. Der „Rettungsschirm“ für die Griechen „rettet“ Griechenland nicht. Dieser Rettungsschirm rettet lediglich die Treuhänder der Griechischen Schulden. Viele dieser Treuhänder sind nicht einmal die eigentlichen Kreditgeber Griechenlands. Was dieser Rettungsschirm bewirkt, ist, dass die Wett-Ergebnisse der New Yorker Hedge-Fonds hinsichtlich der Griechischen Schulden zur Finanzierung dieser Hedge-Fonds genutzt werden. Das Geld aus dem Rettungsschirm fließt nicht nach Griechenland sondern an die, die mit den zu bezahlenden Schulden spekuliert haben. Laut Nachrichten-Medien ist die 'Quantitative Erleichterung' seitens der EZB dazu benutzt worden, Griechische Schulden bei betroffenen Banken auszulösen, die die Darlehen gewährt haben; und damit ist die Schuldenfrage kein 'Kredit-Thema' mehr.
China scheint sich der Risikos, in den USA zu investieren, nicht bewusst zu sein. Die 'Neureichen' Chinas kaufen Wohngemeinschaften in Kalifornien und vergessen dabei die Erfahrungen Japanisch-stämmiger Amerikaner, die während der Zeit des Amerikanisch/Japanischen Kriegs in Internierungslagern untergebracht worden waren. Chinesische Firmen kaufen US-Firmen und Erz-Bergwerke in den USA. Diese Akquisitionen machen China bei außenpolitischen Differenzen angreifbar für Erpressungen.
Der „Globalismus“, der im Westen künstlich stimuliert wird, ist im Hinblick auf Washingtons Unilateralismus unbeständig. Kein Land innerhalb des Westlichen Systems kann es sich leisten, politische Differenzen mit Washington zu haben. Die Französische Bank zahlte 9 Milliarden Dollar Strafgeld dafür, dass sie sich Washingtons Diktat der Geld-Verleihungs-Praktiken widersetzte, denn die Alternative wäre gewesen, ihre Zweigstellen in den Vereinigten Staaten schließen zu müssen. Die Französische Regierung war nicht in der Lage, die Französische Bank davor zu schützen, von Washington geplündert zu werden.
Es ist ein Zeugnis für die Sorglosigkeit unserer Zeit, dass die erhebliche Unvereinbarkeit des Globalismus mit dem Amerikanische Unilateralismus unbemerkt geblieben ist.
Dr. Paul Craig Roberts war als Sekretär Mitarbeiter der Schatzkammer für Wirtschafts-Politik und Teilhaber und Herausgeber des Wall Street Journals. Er war Kolumnist für Business Week, Scripps Howard News Service und Creators Syndicate. Er hat viele Universitäts-Ernennungen. Seim Internet-Kolumnen haben weltweit viele Leser gefunden.
Roberts' jüngste Bücher sind:
und: How America Was Lost.
Übersetzung: Martin Gadow – http://paoweb.org